
Die Schweiz will Gold
Die Schweizer Eishockey Nationalmannschaft steht zum zweiten Mal nacheinander im WM-Final. Letztes Jahr gegen Tschechien gingen “wir” mit Silber nach Hause. Dieses Mal wollen “wir” Gold. Denn wir sind Patrioten und würden uns extrem über diesen Titel freuen. “Wir” sind Patrioten, aber solche bescheidener und zurückhaltender Art. Das macht uns Schweizer aus. Nach dem Schweizer Sieg gestern in Stockholm spielten die Organisatoren zwei Lieder unserer Mundart-Kultbank “Patent Ochnser”. Das ist kein Zufall und vielleicht schon fast wegweisend.
Patent Ochsner, dies sei an dieser Stelle für alle erklärt, die die Schweiz nicht in allen Details kennen, Patent Ochsner ist eine Schweizer Mundart Band aus Bern. Ihr Sänger und Bandleader Büne Huber gehört, wie Polo Hofer und Kuno Lauener von Züri West zu den Legenden des Berner Mundart Pop. Viele Lieder von Patent Ochsner gehören mittlerweile zum Schweizer Kulturgut erster Klasse.
So zum Beispiel das Lied Scharlachrot, das vor 34 Jahren, also 1991 veröffentlicht worden ist. Also zu einer Zeit, als ein Schweizer Weltmeistertitel noch undenkbar war. Inzwischen ist er aber greifbar geworden. Der langjährige und wohl auch legendäre Eishockey Journalist Klaus Zaugg beschreibt diese Wandlung in einem Artikel sehr treffend.
https://www.watson.ch/!316413274
Doch zurück zu Patent Ochsners Scharlachrot, wo eine Strophe für die aktuelle WM schon fast prophetisch daher kommt:
& jitz bisch du cho grad jitz won I’s nümm hätti dänkt & luegsch dry wie wenn’s öppis schön z gwinne gäb für di & für mi im schlimmschte fall nume e nacht
Ja, jetzt und heute kommt sie, die Nacht bzw. der Abend, an den wir bisher nicht zu glauben wagten. Und es ist so, dass es “öppis schön z gwinne gäb”, nämlich den Weltmeistertitel. Und eben – um bei Patent Ochsner zu bleiben – dass die Organisatoren gestern gard diese beiden Lieder von Patent Ochsner spielten, ist wirklich schon fast prophetisch. Denn neben “Scharlachrot” spielten sie auch “W-Nuss vo Bümpliz”. Ein Lied, das doch der einen oder anderen Erklärung bedarf. Erklärung, die selbstverständlich von mir stammt und sich nicht zwingend mit jener des Lied-Autors deckt. W-Nuss also, ist ziemlich sicher die Assoziation zur Venus, der Göttin der Liebe, Schönheit, Fruchtbarkeit und des Begehrens. Und Bümpliz ist ein Vorort von Bern. Übrigens, ganz nahe bei Bern-Bethlehem gelegen, was die Assoziation zu Religiösem und Mystischem nochmals erhöht.
Wer denn die Venus von Bümpliz sei, wird Büne Huber immer mal wieder gefragt und er hat es meines Wissens noch nie verraten. Insofern bleibt sie unentdeckt. Oder noch schöner, jede und jeder kann sich selber vorstellten, wie sie denn aussehen mag. Womit wir bei einer des Liedstrophen wären, die für heute Abend wegweisend sein soll:
D’w. nuss vo bümpliz Isch schön win es füür I dr nacht Win e rose im schnee We se gseh duss in bümpliz De schlat mir mys härz hert im hals Und I gseh win I ungergah.
Nein, “wir” werden heute nicht untergehen. Ganz im Gegenteil: es wird heute Abend schön sein wie ein Feuer in der Nacht, wie eine Rose im Schnee bzw. auf dem Eis. Und wir werden unserer Nati zusehen, “duss in Bümliz”, aber auch im Liebefeld, in Liebiwil oder in Herzwil – alles Ortschaften rund um Bern – und unser Herz wird während der Partie höher als üblich schlagen. “Wir”, die Schweizer, sind, wie es Klaus Zaugg treffend beschreibt, zwar Patrioten, aber eben auf helvetische Art. Wir können ausgelassen feiern und werden das heute Abend tun. Aber wie sind eher bescheiden, zurückhaltend und vergleichsweise leise.
Die Schweiz ist nach wie vor ein Ort, von denen es in der Welt wohl nicht mehr so viele gibt. Unsere Minister, unsere Bundesrätinnen und Bundesräte können sich frei in der Öffentlichkeit bewegen, ohne sich in Gefahr zu begeben. Es kann also durchaus sein, dass vor Ihnen an der Kasse ein Bundesrat seinen Einkauf bezahlt. Oder auch Sportstars sind in der Schweiz immer mal wieder anzutreffen, ohne dass man sie behelligt. So wunderte ich mich einmal vor einigen Jahren bei einem Tennis Doppel, weshalb rund 100 Zuschauerinnen und Zuschauer grad “meinen” Match anschauten. Bis ich hinter den Menschen sah, dass auch Roman Josi und Mark Streit ein Doppel spielten.
Zu dieser Bescheidenheit und Zurückhaltung müssen und werden wir in der Schweiz Sorge tragen. In Bümpliz, im Liebefeld, Liebiwil oder Herzwil und in der ganzen Schweiz. Oder um es mit den Worten von Reto Müller, dem SRF Kommentator zu sagen: “Venus vo Bümliz – und die Schweizer Nati in Stockholm”. Die Schweiz wird ihr Selbstverständnis weiter so leben wie bisher. Ob “wir” nun heute in Stockholm Weltmeister werden oder nicht. Die Voraussetzungen zum Titel waren aber noch nie so gut wie jetzt. Der vor erst gut zwei Monaten gewählte Bundesrat Martin Pfister – er stammt aus dem Kanton Zug – übergab gestern dem Torhüter Leonardo Genoni – er spielt beim EV Zug – das Geschenk für den best player.
Genoni feierte gestern seinen 12. Shutout an einer WM, sein 4. an der diesjährigen WM. Genoni ist in dem Sinne der sichere Rückhalt der Schweizer Nationalmannschaft. Dass Genoni danach im SRF Interview meinte, er habe diese 12 Shutouts gar nicht gezählt, mag man ihm ob seiner sprichwörtlich schweizerischen Bescheidenheit sogar fast noch glauben. Zusammen mit Genoni vermag die Nati dieses Jahr in allen Belangen zu überzeugen, von ganz hinten bis ganz vorne.
- Die Schweiz hat bisher in 9 Spielen gerade Mal 9 Gegentore erhalten, also nur eines pro Spiel. Nur Kanada war bezüglich Gegentoren ebenbürtig, die Ahornblätter sind aber im Viertelfinal ausgeschieden.
- Die Schweiz hat bisher insgesamt 47 Tore erzielt. Deutlich mehr als alle anderen Turnierteilnehmer.
- Bisher gelang es der Schweiz Nati in (fast) jedem Spiel, über 60 Minuten eine unfassbare Konstanz an den Tag zu legen. Einzig in den beiden ersten Partien gegen Tschechien und Dänemark, gab es einige Minuten, in denen man etwas schlechter spielte.
- Aber, und auch das ist top, selbst wenn die Mannschaft die eine oder andere Baisse während einem Spiel hatte, konnte man sich jeweils sofort wieder steigern.
- Die Schweiz hat sowohl im Viertelfinal wie im Halbfinal kein einziges Tor kassiert und in diesen beiden Spielen 13 (!!) Tore erzielt.
Auch Martin Pfister, der Schweizer Verteidigungsminister, wird heute Abend in Stockholm zugegen sein, wenn die Schweiz gegen die USA um Gold spielt. Und auch Pfister wird sich – wie alle Schweizerinnen und Schweizer – freuen, egal wie die Partie ausgeht. Denn eines ist heute wohl schon sehr sicher. Martin Pfister wird die Schweizer Eishockey Nationalmannschaft nach der WM im Bundeshaus empfangen und sie ehren, unabhängig von der Farbe der heute errungenen Medaille. Und “wir” werden unsere Nati feiern wie wir das immer tun. Mit extrem viel Freude, aber bescheiden und zurückhaltend. Egal wo wir unsere Stars zufällig treffen werden. Ob an der Supermarktkasse, auf dem Bundesplatz oder beim Tennis spielen.
“Wir” freuen uns heute Abend unabhängig vom Spielausgang, aber klar – das wollen wir freimütig zugeben – “wir” wollen Gold!!
Bericht von: Valentin Lagger | Foto: Citypress
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